SG Adelsberg Abteilung Schach - Historisches
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Sandkastenspiel der Könige

 

Eine Münchner Kulturhistorikerin hat den Ursprung des Schachs enträtselt. Demnach ging das Brettspiel um 450 nach Christus aus indischen Kriegsübungen hervor.

 

Die Gesandtschaft des Königs von Kanauj überbrachte die Botschaft des

Friedens. Auf den Rücken von 1000 Kamelen und 90 Elefanten schafften die Inder Gold, Moschus, frischen Weihrauch, Seidenstoffe und indische Schwerter nach Persien. Ebenfalls Teil der kostbaren Lieferung: ein neues Spiel. 32 Figuren aus grünem Smaragd

und rotem Rubin gefertigt (inklusive eines kostbaren „astapada“, des traditionellen

64-Felder-Bretts der Inder), sollten den persischen König Khusrau Anushirvan gnädig stimmen.

Die luxuriöse Karawane, der Nachwelt unter anderem durch das Königsbuch des persichen

Dichters Firdausi überliefert, zog Mitte des 6. Jahrhunderts von Nordindien ins persische

Ktesiphon - im Gepäck das erste schriftlich erwähnte Schachspiel der Geschichte. Ohne Anleitung lieferten die Gesandten das wertvolle Geschenk der Legende nach ab, um die Intelligenz und Weisheit des Perserkönigs zu testen. Nun ist die diplomatische Fernreise

zum Ausgangspunkt einer wissenschaftlichen Spurensuche geworden, die den seit Jahrzehnten schwelenden Forscherstreit um die Herkunft des Schachspiels entscheiden könnte. „Ich bin absolut sicher, das Schach in Indien entstanden ist und nicht in Persien

oder China“, sagt die Münchner Indologin und Kulturhistorikerin Renate Syed. Und: Nicht aus früheren Brettspielen, sondern aus „Kriegsübungen im Sandkasten“ sei „caturanga“, so der Sanskrit-Name für Schach, hervorgegangen. „Die Inder haben Schach nicht als Spiel betrachtet“,  sagt Syed. „Es ist aus militärischen Lehrmethoden entwickelt worden, die dazu dienen, Strategien und Taktiken einzuüben“.

Minutiös hat die Forscherin anhand historischer Quellen den Weg des Spiels von Indien

nach Persien nachgezeichnet und seine Herkunft dingfest gemacht. Erstmals erwähnt wird das Schach in Indien um 630 nach Christus in einer Königschronik aus der Stadt Kanauj. Umfangreiche frühere Quellen wie etwa das Kamasutra aus der Zeit vor 400 nach Christus dagegen beschreiben das Spiel noch nicht. Um das Jahr 450 herum, so folgert Syed, müsse Schach im Gebiet um die Stadt Kanauj in Nordindien erfunden worden sein - geboren aus einer Kriegsbegeisterung, die selbst unter den Völkern der damaligen Zeit ihresgleichen suchte. Ohne Unterlass führten die indischen Fürsten der Region damals Kriege gegeneinander - ein Handwerk von „großer gesellschaftlicher Bedeutung“(Syed). In komplizierten Schlachtaufstellungen ließen die Inder ihre viergliedrigen Heere - die bezeichnender Weise ebenfalls caturanga („vier Teile“) hießen - in den weiten Ebenen der Gegend aufeinander krachen. Während die  Fußtruppen gleichsam als Bauernopfer todesmutig vorneweg marschierten, wurden die Flanken des Heeres von gepanzerten Elefanten gesichert, die dazu dienten, „die Infanterie und die Reiterei des Gegners niederzutrampeln und Furcht zu verbreiten“.  Vierspännige Kampfwagen aus Bronze,

jeweils mit einem Bogenschützen besetzt, stürmten „rasend schnell“ in Richtung der feindlichen Linien. Die Kavallerie dagegen habe versucht, den Gegner einzukreisen und “zangenartig zu umschließen“. In dieser Atmosphäre aus Blut und Ehre, so glaubt Syed, entstand die Vorstufe des Schachspiels fast wie von selbst. Denn um das Gemetzel zu optimieren, rückten indische gelehrte dem Krieg auch theoretisch zu Leibe. „Für die Brahmanen war Krieg eine extreme intellektuelle Herausforderung“, erläutert Syed. Nicht nur galt es den Potentaten im Heerlager allabendlich über die Truppenbewegungen zu unterrichten. Auch hätten sich die Weisen darin messen können, neue Kampfstrategien und intelligente Winkelzüge auszutüfteln. Was aber lag da näher, als die komplizierten Kriegstheorien mit Figuren nachzustellen? „Im Sandkasten“ oder „auf dem Palastteppich“ hätten die Brahmanen bevorstehende oder bereits geschlagene Schlachten abgebildet, glaubt die Münchner Forscherin: „Die indische Kultur ist sehr bildhaft“. Daher überrasche es nicht, dass man für Kriegsspiele Figuren benutzte. Zahlreiche Terrakotten von Kriegern, Reitern und bewehrten Elefanten, die in Nordindien gefunden und bislang als Spielzeuge oder Kultobjekte gedeutet wurden, passten genau ins Bild. Irgendwann habe einer der Gelehrten schließlich das in Indien längst gebräuchliche astapada mit seinen 64 Quadraten als Unterlage für die Planspiele benutzt. Zum Schachspiel selbst sei es dann nur noch ein kleiner Schritt gewesen.

 

Tatsächlich erinnert das Schach und die Bewegung seiner Figuren bis heute an die Aufstellung der indischen Heeresverbände. Auch auf dem Brett stürmen die Bauern vorneweg. In der raumgreifenden Gangart der Türme seien die weiten Bewegungen der Kampfwagen erhalten geblieben, erläutert Syed. Der Rösselsprung imitiere „auf geniale Weise“ die Taktik der Reiterverbände, den Gegner einzukreisen. Entsprechend der Vorschriften für das reale Heer stehe der König geschützt von Fußsoldaten in der hinteren Reihe und bewege sich nur in kleinen Schritten vorwärts. Auch die zwei Kriegselefanten (die heutigen Läufer) und der Minister (heute die Dame), so Syed, seien im alten Indien entsprechend der Kampfstrategien ihrer realen Vorbilder auf dem Brett gezogen worden. Während die Elefantenfiguren, vorrückenden Panzern gleich, ausschließlich

gerade bewegt werden durften, konnte der Minister - anders als die heutige Dame - nur die vier diagonalen Felder in seiner direkten Nähe erreichen. „Die Minister kamen aus den vornehmsten Familien und gingen auf dem Schlachtfeld im Schatten des Königs, umgeben von Kämpfern“, berichtet die Indologin. Erst die Araber - deren Heere durch den Einsatz vieler Pferde und Reitkamele sehr wendig und schnell waren - hätten dem Minister beim Schach die Langschrittigkeit der heutigen Dame verliehen. „Die Zugweisen des Schachs lassen sich eindeutig aus der indischen Heeresordnung herleiten“, resümiert Syed.

 

Frühere Theorien, nach denen das Schach aus anderen Brettspielen entstanden

sein soll, hält sie für abwegig. während die meisten anderen Spiele etwa durch Würfel

vom Glück abhängig seien, komme es beim Schach auf die Intelligenz der Spieler an:

„Schach ist viel eher eine Intelligenzarbeit als ein Spiel“.

Entsprechend großer Popularität erfreute sich das Strategiespiel bald in der Oberschicht der

nordindischen Städtekulturen. Überlieferungen zufolge ging die Spielbesessenheit so weit,

dass die Inder nach Verlust ihrer Habe ihre eigenen Glieder beim Schach verwetteten. In einem Gefäß wurde in solchen Fällen extra eine Heilsalbe angerührt. „Wenn nun ein Mann in einer Wette einen Finger verliert, schneidet er ihn mit einem Dolch ab, taucht die Hand in die Salbe und brennt so die Wunde aus“, berichtet etwa der arabische Historiker al-Masudi um das Jahr 1000 nach Christus. Syed verbannt derlei Berichte ins Reich der Legende. Gerade beim Schach sei niemals gewettet worden, galt es doch als „Spiel der Aristokratie und Intelligenz“.

Schon bald schätzten die Inder die ungeheuren Möglichkeiten des Spiels, bei dem die Figuren, schon nach dem ersten Zug von Weiß und Schwarz in 400 verschiedenen Positionen stehen können.

Der in Kanauj regierende König Sarvavaman aus der indischen Maukhari-Dynastie soll es dann gewesen sein, der das edle Spiel um 565 nach Christus mit eben jener berühmten Karawane nach Persien schickte. Ob der beschenkte Herrscher Khusrau Anushirvan die wertvollen Figuren je anrührte, ist nicht überliefert. Zumindest aber beauftragte der Perser der Legende nach den berühmten Weisen Wazurgmihr, das ohne Anleitung gelieferte Spiel zu entschlüsseln. Wazurgmihr war erfolgreich und verkündete, Schach sei „ähnlich der Ordnung des Krieges gemacht“. Hilfreich für den Krieg war das fremde Spiel indes nicht. Wenige Jahrzehnte später wurde Persien von den Arabern überrollt.

In den Satteltaschen der neuen Herrscher trat Schach seinen Siegeszug um die Welt an.

(Quelle: Spiegel vom 29.04.02)

 
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